Der Kalender zur klugen Hausfrau

Ich habe eine besondere Beziehung zu Geburtstagen, sowohl zu meinem eigenen als auch zu denen anderer. Ich kann machen, was ich will, mein Kopfcomputer spuckt fast jeden Tag einen Namen und einen Geburtstag aus. So auch heute. Am 18. September hatte Christiane Geburtstag, mit der ich in meiner Kindheit zusammen geturnt habe. Obwohl sie starb, als wir noch Kinder waren, habe ich völlig vergessen, was damals passiert ist. Aber ihr Geburtsdatum ist für immer in meinem Gedächtnis verankert. 

 

Ich bin mir nicht sicher, ob es eine Erklärung für meinen Geburtstagsfimmel gibt, aber es könnte mit einer bestimmten Geschichte zusammenhängen:

 

Als ich noch nicht zur Schule ging, waren wir zu Besuch bei unseren Großeltern. Eines Tages riefen mich meine Brüder in die Küche, wo der "Kalender der klugen Hausfrau" unserer Oma hing – ein Abreißkalender vom Edeka-Händler ihres Vertrauens. Es gab für jede Woche ein Blatt, am unteren Rand befanden sich die Wochentage mit den kleingedruckten Namenstagen. Es war Anfang des Jahres, der Kalender war frisch und gut gefüllt, und meine Brüder waren vermutlich gespannt darauf, was passieren würde. Sie wussten genau, was sie taten.

 

Ich folgte ihrem Ruf, stellte mich vor den Wandkalender und freute mich über die Frage: Sag mal, liebes Schwesterchen, wann hast Du eigentlich Geburtstag? Eine Aufgabe! Und ich kannte die Antwort! Stolz blätterte ich durch die ersten Monate, näherte mich dem September und musste dann nur noch zählen. Da war er, mein Geburtstag! Doch zwischen der 7 und der 9 fehlte die 8, eine fiese Riesen-Kalenderlücke tat sich vor mir auf.

 

Meine Brüder spielten die Ahnungslosen, trösteten mich aber und machten mir doch unmissverständlich klar: Ohne Zahl könne es keinen Geburtstag geben. In diesem Jahr würde er ausfallen. Sie wussten, was nun kommen würde, und hielten sich schnell die Ohren zu. Ich war außer mir vor Wut, ähnlich wie das HB-Männchen, wie meine Mutter es immer nannte. Ich erinnere mich noch genau an das Gefühl vor dem Kalender und an die Tränen. Doch dann setzen meine Erinnerungen aus. Natürlich erfuhr ich wenig später, dass die Jungs den 8. September kurz zuvor herausgeschnitten hatten.

 

Und was Christiane betrifft? In einem alten Buch befindet sich noch ein Foto vom Turnfest 1977. Dort haben wir es beide aufs Siegerpodest geschafft. Für mich blieb es das einzige Mal, vermutlich auch für sie.

 

Irgendwas muss mich damals an ihr fasziniert haben, ihre Art zu reden und zu lächeln, ihre dunklen Haare. Vielleicht wäre ich gern ihre Freundin gewesen, denn ich habe sie gemocht und bestimmt auch bewundert. Erst heute bekomme ich eine Ahnung davon, dass ich als ADHS-Mädchen nicht immer leicht zu nehmen war.

 

Wenn ich anderen Menschen zum Geburtstag gratuliere, gestern wie heute, dann ist da dieser Moment der Freude. Am Geburtstag ist jeder von uns ein kleines bisschen emotionaler und dankbarer: Dass Du an mich gedacht hast ..! Geburtstage sind im besten Fall Tage der Zuwendung, die ich brauche, liebe, suche und gern gebe. Ohne Facebook & Co leben Christiane und viele andere mit ihren Geburtstagen in mir.

 

An sie alle zu denken, bleibt für mich ein sehr wertvoller Schatz. Ich brauche keinen Kalender. Ätschibätschi.